Nick Ferrio & His Feelings über Neufundland. Wo Bären noch Männer sein dürfen

27. September 2012 | By Dani | Filed in: Erdkunde.

Nick Ferrio und Meagh Culkeen – The Trial of Mary Harshbarger (Akustisch vor dem Court House in St. John‘s)

„Kinder, Tiere oder Sex geht immer!“ Diese Weisheit kommt unter TV- und Filmemachern immer dann zum Tragen, wenn die guten Ideen ausbleiben. Und tatsächlich beinhalten die dämlichsten aber gleichsam erfolgreichsten Filme und Formate oft mindestens einen der aufgeführten Punkte. Es gibt aber auch Geschichten aus dem realen Leben, die selbst den kühnsten Fernsehmenschen ins Schwärmen geraten lassen. So zum Beispiel die Sache mit Mary Harshbarger, ihrer zwei Kinder, einem Bären und ihrem Schwager. Eine Waffe und die kanadische Wildnis kommen auch noch vor – ein potentielles Drehbuch allererster Klasse. Doch dazu mehr an späterer Stelle. Da das hier ja ein Streber-Blog ist, kurbeln wir nun erstmal den Wissensteil dieser Sex & Crime-Story durch.

Die Geschichte von Mary trug sich nämlich nicht in irgendeiner einsamen Gegend zu, nein. Sie trug sich in der einödigsten Einöde zu, die man sich vorstellen kann. Nämlich in der Nähe von Buchans Junction, was sich inmitten des bewaldeten  Zentrums von Neufundland (engl. Newfoundland) befindet.  Das wiederum ist eine Insel im Atlantik, etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen und  bildet mit der Halbinsel Labrador eine der zehn Provinzen Kanadas. Zu großer Bekanntheit hat es das Fleckchen Erde bis heute wahrlich nicht gebracht, aber dennoch gibt es drei Dinge, die man wissen sollte.

  1. Neufundland hat Eisberge. Ein wenig Ruhm und weniger Ehre kam der Insel einmal zu, als der Kapitän eines Passagierschiffes (jaja, von jenem Schiff) vor ziemlich genau 100 Jahren einen dieser Dinger übersah. Das Ganze sank 368 Meilen vor dem Hafen der Hauptstadt St. John’s ins Meer und so kann man von dort auch heute noch mit Reiseunternehmen zum Wrack fahren und Eisberge gibt es ab und an auch noch. Außerdem diverse Wale, lustige Papageientauchervögel,  jede Menge Kabeljau und  jede Menge Wälder.
  2. Neufundland hat dazu noch jede Menge Scheißwetter. St. John’s ist die windigste, nebligste, regnerischste und verschneiteste Stadt Kanadas. Man besitzt dort keine Regenschirme, weil die eh nicht standhalten, wenn es mal losgeht.
  3. Neufundland ist gar nicht weit weg. St. John’s liegt sogar ein ganzes Stück näher an Dublin, als an Vancouver. Früher sind deshalb auf dem Flughafen der Stadt Gander im Nordosten der Insel viele Langstreckenflieger gelandet, als mans mit dem ausreichend Tanken noch nicht so hatte. Auch am 11. September 2001 sind über 6.000 Passagiere dort untergekommen, als ihre Flugzeuge nicht weiterfliegen durften und wurden von der lokalen Bevölkerung aufgenommen und umsorgt (die Lufthansa benannte als Dank sogar ein Flugzeug nach der Stadt). Vielleicht ist die Nähe zu Irland auch der Grund, warum die neufundländische Kultur mit der irischen viel mehr teilt, als mit der nordamerikanischen. Da wäre der Dialekt, der ein wenig nach wütend-betrunkenem Kobold klingt und die vielen lustige Phrasen, die jeden Alltags-Smalltalk zu beherrschen scheinen (wen’s interessiert, sollte sich mal jenen Artikel anschauen), die zahlreichen Pubs und das dazugehörige Trinkverhalten sowie die immer noch gelebte Tradition der Hausmusik (na gut, was soll man bei dem Wetter auch anderes machen).

Für Außenstehende auf jeden Fall ein ganz besonderes Völkchen, diese Neufundländer. So werden die knappe halbe Million Einwohner (etwa jeder  vierte davon wohnt in und um St. John‘s) von den Festlandkanadiern als „Newfies“ bezeichnet und das nicht immer ganz ohne Spott. Dennoch wird dabei immer erwähnt, wie unfassbar nett die Menschen seien, in diesem Newfoundland (Insider sprechen es im Übrigen mit Betonung auf „New“, also etwa wie „understand“ aus).

Die überbordende Nettigkeit mag es auch gewesen sein, die unserer Mary Harshbarger sagen wir – den Arsch gerettet hat. Die gebürtige US-Amerikanerin wurde nämlich in von neufundländischen Richtern freigesprochen – obwohl ihre Tat mehr als fragwürdig ist. Und jetzt kommen Kinder, Waffe und Bär ins Spiel: als sie mit ihrer Familie im Jahr 2006 auf einem Jagdausflug war, hat sie nämlich – upsi – ihre bessere Hälfte Mark erschossen. Und das total aus Versehen, denn er sah einfach aus wie ein Schwarzbär so im Dunkeln, meinte sie. Auch das mit der vorherigen Erhöhung seiner Lebensversicherung hat sich ganz zufällig ergeben und das Anbandeln mit Schwager Barry Harshbarger (Mary und Barry, bahaha) ist eben auch einfach so beim Trösten passiert. Wie auch immer es gewesen sein mag: die Geschichte würde einiges an Stoff für einen Spielfilm bieten.

Oder eben für einen Song. So kam ein junger Bursche namens Nick Ferrio auf die Idee, ein Lied über Mary und ihren tierischen Fehltritt aufzunehmen. In „The Trial of Mary Harshbarger“ fasst der Musiker aus Ontario die Story auf humorvolle Weise zusammen und packte sie auf das Debut-Album von der illustren Country-Truppe namens Nick Ferrio & His Feelings. Die ebenso benannte Platte ist das Ergebnis eines Patchwork-Familientreffens der ostkanadischen Musikszene: am Mikro für die Harmonien stehen Grey Kingdom, im Studio saß Ian Romano, Bruder von City and Colour-Gitarrist Daniel Romano, erschienen ist die EP auf dem neugegründeten Label Shuffling Feet von Evening Hymns-Frontmann Jonas Bonnetta. Ach und Nick spielt eigentlich Bass bei The Burning Hell.

Aufgenommen wurden die neun Songs so, wie es sich für eine nostalgische Countryplatte gehört: mit Bändchenmikrofon und Tonbandgerät. Nostalgisch ist aber vor allem der Sound, textlich befinden wir uns eher in einem bunten Themen-Pottpourri, das sich an der eingangs erwähnten Erfolgsformel zu orientieren scheint. Da wären die nicht ganz jugendfreien Sex-Drugs-&-Rock-N‘-Roll-Geschichten aus dem Tourleben („Always Searching“ und „Free Man, Switzerland“), gelangweilte Bären in Berlin, die nicht für Ehemänner gehalten werden („Köllnischer Park“) und ganz klassische mit Pedal-Steel-Gitarre untermalte Liebesliedchen, zu denen man entweder losreiten („Night Garden“) oder Schiebe-Blues in einem Saloon tanzen möchte („Popular Flower“). Mit „The Trial of Mary Harshbarger“ kommt noch ein fast unerträglich eingängiger Hit dazu, dessen Refrain („Who’s that comin‘ through the woods?“) man  dort auch noch nach dem dritten Whiskey mitgröhlen kann. Country mag vielleicht nicht gerade auf dem Zenit seiner Popularität stehen, mit diesem Album trägt Nick Ferrio aber auf jeden Fall zu einem halbstündigen Mini-Revival bei. Cowboys gehen halt auch immer, oder?

Nick Ferrio bei Bandcamp | Ein nicht ganz ernstgemeintes Video zu „Free Man, Switzerland“ mit der Unterstützung von Musiker von The Burning Hell


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