The same procedure as every year: Kurz vor Silvester sitze ich wie so ziemlich jeder andere Musikblogger, -journalist und fast jeder -fan vor der schweren Aufgabe, meine Jahrescharts zu erstellen. Und wie immer wird mir spätestens morgen noch ein Album oder Song einfallen, den ich entweder hier vergessen habe oder bis heute noch gar nicht kenne. Das gesagt, hier ist mein kleiner Jahresrückblick.
(Inhalt: Schlechte Musik | Konzerte des Jahres | Songs des Jahres | Video des Jahres | Alben des Jahres)
Schlechte Musik
Fangen wir mit einer meiner Lieblingstätigkeiten an: Schlechte Musik als ebensolche zu bezeichnen. Wie oft wurde mir dieses Jahr mal wieder vorgeworfen, dass ich mich für „mehr indie“ als andere (was auch immer das bedeuten soll) halte, nur weil ich die Wahrheit ausgesprochen habe: Sowohl das Album von Casper als auch das von Thees Uhlmann sind ziemlicher Schrott.
Kommen wir zuerst zu Casper: Guter Rap muss in meinen Augen entweder einen guten Flow oder intelligente Texte haben, im Idealfall beides. Mit gutem Flow meine ich sowas wie zum Beispiel K.I.Z.1, und gute Texte sollten entweder berühren oder zum Nachdenken anregen.2 Und Casper hat weder gute und/oder intelligente Texte, noch irgendetwas, das man Flow nennen könnte. Warum alle auf seine Musik abfahren, kann ich nicht verstehen. (Mit der Stimme fang‘ ich gar nicht erst an.)
Und zu Thees Uhlmann, der kumpeligsten Heulsuse des deutschen Musikzirkus, muss ich glaube ich eh nicht mehr viel sagen.
Beide haben es aber nicht geschafft, das schlechteste bzw. schockierendste Lied des Jahres 2011 zu schreiben. Das hat ihnen jemand anderes aus Deutschland abgenommen. Jemand, der unter fast dem gleichen Titel vor elf Jahren schon einmal ein Lied herausgebracht hat. Damals hatte er noch ein „King“ im Namen, denn er war der selbsternannte „King of Rap“. Und jetzt ist jemand aus ihm geworden, der zusammen mit Xavier Naidoo nur noch der „Last man Standing“ ist:
Kool Savas feat. Xavier Naidoo – LMS 2012
Abseits davon gab es zudem ein ziemlich enttäuschendes Comeback: Bush sind wieder da. Und mitgebracht haben sie nicht nur ein ziemlich egales Album, sondern auch das wohl hässlichste Cover-Artwork der jüngeren oder sogar der gesamten Vergangenheit. Jeder, der über 15 Jahre alt ist, und diese komischen, wie chinesische Schriftzeichen wirkenden Buchstaben benutzt, ist ein schlechter und/oder dummer Mensch. Und/oder er macht das Artwork für Bush.
Kommen wir aber jetzt zu etwas Erfreulicherem.
Die Konzerte des Jahres:
Wie in den letzten Jahren auch habe ich 2011 meine Konzertfrequenz erhöhen können: 132 Auftritte von 124 verschiedenen Bands habe ich an 43 Konzertabenden bzw. Festivaltagen angeschaut.3 Was aber vor allem überrascht: In keinem Club war ich öfter als drei Mal (Das Bett, Frankfurt), in ganzen 31 verschiedenen Venues war ich dieses Jahr unterwegs. Die schönsten Konzertorte waren dabei zwei alte Theater in Nordamerika: Das Congress Theatre in Chicago und das Opera House in Toronto. In beiden sah ich auch jeweils eines der besten Konzerte des Jahres. Hier aber die komplette Top 10:
Platz 10: Two Gallants auf dem Phono Pop, Rüsselsheim (22. Juli)
Während Sänger Adam Haworth Stephens dieses Jahr endlich auch in Deutschland ein tolles Soloalbum veröffentlichte, war er außerdem mit seiner Hauptband Two Gallants auf eine Stippvisite da. Man sagte sich, dass für das kleine Phono Pop extra die England-Tour der Band unterbrochen wurde. Nachrecherchiert habe ich das aber nicht … (Hier noch ein Festivalbericht von Jonas)
Platz 9: The Pains of Being Pure at Heart im FZW, Dortmund (7. Juli)
Das dieses wirklich tolle Konzert hier in der Liste auftaucht, hat nicht nur mit dem Auftritt an sich zu tun, sondern vor allem auch damit, dass der Tag alles in allem ein toller war: Bei bestem Wetter fiel mir nämlich zum ersten mal auf, das Dortmund4 überraschend schöne Ecken hat. Zum Beispiel in der Nähe des FZW, wo dieses Konzert stattfand.
Platz 8: Hundreds auf dem Phono Pop, Rüsselsheim (22. Juli)
Ein wunderbarer Auftritt, den die Band auf dem Phono Pop hinlegten. Daran änderte auch nicht, dass das Konzert in Frankfurt ein paar Monate später ziemlich genau das Gegenteil davon war.
Platz 7: Dan Mangan auf dem Haldern Pop (12. August)
Niemand anderes habe ich 2011 häufiger Live gesehen als Dan Mangan und seine Band. Allerdings fehlte einmal der zweite Gitarrist (das war der schlechteste Auftritt) und einmal der Trompeter (auch hier fehlte etwas). Nur im Spiegelzelt auf dem Haldern war die Gruppe komplett, und nur dort konnte sich deshalb die Musik richtig entfalten.
Platz 6: Spandau an Bord der MS Hedi, Hamburg (3. November)
Spandau sind immernoch ein Geheimtipp, und auch die MS Hedi scheint genau das zu sein. Dabei ist es unglaublich toll, einer Band zuzuhören, während man durch den Hamburger Hafen schippert.5
Platz 5: Peer und Locas in Love im Bett, Frankfurt (28. September)
Muss ich dazu noch viel sagen? Zwei der großartigsten deutschen Bands, zusammen an einem Abend? (Und wer doch noch mehr lesen will: Für stuz.de habe ich was übers Konzert geschrieben.)
Platz 4: Titus Andronicus im Congress Theatre, Chicago (3. März)
Die Band mit dem besten Album des Jahres 2010 in einem der schönsten Konzertvenues der bekannten Welt. Rein zufällig war ich in Chicago, als Titus Andronicus als Vorband für die Pogues auftraten, und obwohl es mein bis heute teuerstes Einzelkonzert überhaupt war, hat es sich definitiv gelohnt.
Platz 3: Pulp auf dem Melt! Festival (17. Juli)
Pulp! Das ich das noch erleben durfte! Das Melt! ist und bleibt einfach das beste Festival überhaupt, nicht nur, aber auch, wegen der Strandbühne, vor allem aber wegen des Lineups. Aber die Großartigkeit des Melt! habe ich woanders schon länger beschrieben. Wir sehen uns auch 2012 in Gräfenhainichen …
Platz 2: Middle Brother, Deer Tick, Dawes, Matt Vasquez und Johnny Corndawg im Opera House, Toronto (11. März)
Ich weiß gar nicht, was das beste an diesem Konzert war: Das Venue? Die einzelnen Bands? Oder doch eher die ausgelassene Stimmung auf der Bühne, die vor allem dadurch entstand, dass man nie so ganz wusste, welche Band in welcher Zusammensetzung gerade auf der Bühne stand. Viel zu schnell verzettelte man sich in all den Nebenprojekten und Kollaborationen zwischen den Musikern. Aber letztlich war das bei der versammelten Livequalität aller Beteiligter auch egal.
Platz 1: Bright Eyes im E-Werk, Köln (21. Juni)
Endlich habe ich die Band mal wieder live gesehen. Und dann gleich auf einem so großartigen Konzert. Egal, dass ich dafür extra nach Köln fahren musste. War ja weder das erste noch das letzte mal, das ich das tat.
Die Songs des Jahres
Platz 10: Skint & Demoralised – The Lonely Hearts of England
Platz 9: Okkervil River – Your Past Life as a Blast
Platz 8: Library Voices – Traveler’s Digest
Platz 7: Deer Tick – Miss K.
Platz 6: Noah and the Wale – L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.
Platz 5: PeterLicht – Das Ende der Beschwerde/Du musst dein Leben ändern
Platz 4: The Vaccines – Nørgaard
Platz 3: Ja, Panik – DMD KIU LIDT
(Leider nicht einbettbar, hier gibt es das Lied aber zum anhören)
Platz 2: Bright Eyes – Jejune Stars
Platz 1: Dan Mangan – Post-War Blues
Video des Jahres
Ich weiß, ich weiß. Ich hatte das Video schon in meinem letztjährigen Jahresrückblick, aber da ich so wenige Musikvideos in diesem Jahr gesehen habe, und auch, weil das Video wirklich klasse ist, hier noch einmal:
The Rural Alberta Advantage – Stamp
Alben des Jahres
Haarscharf nicht dabei ist unter anderem Tim Kasher, weil „The Game of Monogamy“ schon 2010 erschienen ist und „Bigamy“ an den Vorgänger nicht anschließen kann sowie Dan Mangans „Oh Fortune“, WU LYF und Deer Tick.6
Platz 10: The Rural Alberta Advantage – Departing
Die Vorfreude auf dieses Album habe ich vor einem knappen Jahr an dieser Stelle gleich zweimal zum Ausdruck gebracht. Das erste Hören von Departing war deshalb etwas ernüchternd. Die Qualität des Debuts erreicht das Zweitwerk der Kanadier nämlich nicht. Klar, es sind tolle Songs, wie spätestens nach ein paar Durchgängen des Albums klar wird, aber eine weitere Offenbarung ist die Platte nicht.
Platz 9: John Wesley Harding – The Sound of His own Voice
John Wesley Harding – There’s A Starbucks (Where The Starbucks Used To Be)
Ganz frisch reingekommen in meine Musiksammlung ist noch das aktuelle Album des britischen Autors und Musikers John Wesley Harding. Wunderbar altmodischer Gentleman-Pop mit tollen Texten. In den letzten Tagen dieses Jahres das von mir meistgehörte Album. Hätte ich es eher entdeckt, wer weiß, vielleicht wäre es weiter oben in meinen Charts gelandet.
Platz 8: Flare Acoustic Arts League – Big Top/Encore EP²
Flare Acoustic Arts League – Hideous Ethnic Stereotype
Freunde von mir haben das Flare Acoustic Arts League-Album (bzw. Doppel-EP) als typische „Matze-Musik“ bezeichnet, und ganz unrecht haben sie damit nicht. Großzügig instrumentierter Singer/Songwriter-Pop ist halt einfach etwas tolles. (Wobei, Jonas fand die CD auch nicht schlecht.)
Platz 7: Locas in Love – Lemming
Nur Platz sieben für die Locas? Nur drittbestes deutsches Album? Ich weiß, ich weiß, das Album hätte genauso gut weiter oben stehen können. Und immer noch bedeutet mir die Musik wohl keiner anderen Band soviel wie die der Locas. Aber Lemming fehlen einfach die Hits, es fehlt ein „Sachen“, ein „Monkey“ oder ein „High Pain Drifter“. Trotzdem: Ein tolles Album. (Auch über das Album habe ich im Laufe des Jahres versucht, etwas mehr zu schreiben.)
Platz 6: The Pains of Being Pure at Heart – Belong
Platz 5: Yuck – Yuck
„Belong“ und „Yuck“ bespreche ich hier gemeinsam, weil auf beiden Alben gleichermaßen die neunziger wieder aufleben. Nicht der Müll, der auf den unvermeidlichen 90s-Partys gespielt wird, sondern die gute Musik, die es auch7 in den frühen Jahren des Jahrzehnts gab. The Pains of Being Pure at Heart sind dabei etwas weniger schrammelig als Yuck. Deshalb lagen sie in meiner Gunst auch fast das gesamte Jahr vorne, erst auf den letzten Metern konnten die Briten mit ihrem Debutalbum noch vorbeiziehen.
Platz 4: Adolar – Zu den Takten des Programms
Adolar – Tanzenkotzen
Manchmal Regelmäßig bin ich ein kleiner Misanthrop. Dann hasse ich alles und jeden, die Welt ist einfach nicht mein Freund. Adolar scheint es genauso zu gehen. Sie aber gießen ihren Hass auf die Welt in Musik. In wütende Punksongs mit ziemlich intelligenten Texten. (Jonas hat auch über dieses Album eine Rezi geschrieben)
Platz 3: Adam Haworth Stephens – We Live on Cliffs
In den USA war das Album schon im vorigen Jahr erschienen, und 2011 kam auch Deutschland in den Genuss des ersten Soloalbums des Two Gallants-Sängers. Wesentlich weicher als auf den Bandalben geht es dort zu, Stephens‘ Stimme passt aber hier wie dort.
Platz 2: Bright Eyes – The People’s Key
Wenn ich hier auch ein Label des Jahres küren sollte, dann wäre es ohne Frage Saddle Creek. Nicht zuletzt liegt das natürlich am wohl bekanntesten Künstler, der auf dem Label veröffentlicht: Conor Oberst. 2011 kam endlich wieder ein Album seiner Hauptband Bright Eyes.8 Und was für eins: Ohne Frage ist es das rockigste der Bandgeschichte, und ebenso ohne Frage ist es eines der Besten. Nur die gesprochenen Parts nerven ein wenig, zerstören aber nicht den Gesamteindruck.
Platz 1: Ja, Panik – DMD KIU LIDT
(nicht einbindbar, aber in voller Länge bei Soundcloud zu hören)
Keine Band hat mich in diesem Jahr so sehr begeistert wie Ja, Panik.9 Das aktuelle Album steht hier stellvertretend für das gesamte Oeuvre der in Berlin lebenden Österreicher, denn jedes der vier Alben hat mich auf seine eigene Art umgehauen. Es kann (wieder einmal) kaum jemand in meinem Umfeld meine Begeisterung vor allem für die Texte, die alles andere als einfach zu verstehen sind und auf manchen auch etwas prätentiös wirken könnten, verstehen, aber damit muss ich wohl leben. Intelligentere Lieder als die von Ja, Panik jedenfalls gab es 2011 nicht.
…und wenn ihr der gleichen oder einer völlig anderen meinung seid, dann schreibt das in die kommentare und füllt unseren wahlzettel aus. Einen Tag habt ihr noch.
- denn egal, wie man zu Texten und Gehabe der Band steht, Flowmäßig ist es so mit das Beste, was der deutsche Hiphop momentan zu bieten hat [↩]
- Und wenn sie das beides nicht tun, dann sollten sie wenigstens witzig und/oder sprachlich kreativ sein. [↩]
- Wenn ich mich nicht verzählt habe… [↩]
- die Stadt, in deren Nähe ich aufgewachsen bin [↩]
- Und das auch noch für einen Preis, bei dem normale Hafenrundfahrten ohne Musik nicht mithalten können … [↩]
- Und die 2011er Alben von den Indelicates und Slow Club, von denen ich mir jeweils einiges erwartet hätte, fand ich persönlich jetzt nicht so extrem überzeugend. [↩]
- und wenn man mal nachdenkt, gerade [↩]
- es soll wohl doch nicht das letzte sein [↩]
- Und wo bin ich wieder einmal drauf aufmerksam geworden? [↩]
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