Pünktlich zur Zeugnisausgabe bin ich dann doch wieder an Bord. Ich sehe das Musikjahr ein wenig positiver als Ric, wenn auch mit einem leicht negativen Beigeschmack: Denn im Grunde ist es hinfällig, wie viele großartige Songs das vergangene Jahr hervorgespült hat, man wird es immer mit Lena Meyer-Landruts Siegersong „Satellite“ beim Eurovision Song-Contest in Verbindung bringen.
Alben des Jahres
1. The Soft Pack – The Soft Pack
Ich nutze lastfm hauptsächlich dazu, die Profile der hippen Amerikaner nach neuen LoFi/Retro/Garagen-Bands zu durchforsten. Im Jahr 2010 war diese Beschäftigung durchaus von Erfolg gekrönt, auf diese Weise entdeckte ich Wavves, Best Coast, Dum Dum Girs, Surfer Blood, Harlem, The Drums, Beat Radio, … Gegen die schmissigen Garagenrock-Songs von The Soft Pack können die allerdings allesamt einpacken! (längere Rezi)
2. Herrenmagazin – Das wird alles einmal dir gehören
Für die einen ist es „Schlagerrock mit erfrischend flachen Texten“ (eine Konzertbesucherin in Wiesbaden), für die anderen die wohl zurzeit beste deutschsprachige Band. „Die Zeit heilt keine Wunden / bild‘ dir das bloß nicht ein! / Sie haben die Bibel nur erfunden / um selber Gott zu sein.“ Ich kann diese Zeilen nicht oft genug zitieren und halte sie selbst nach einem Dutzend Herrenmagazin-Konzerten immer noch für die besten des Jahres. (längere Rezi)
3. Caribou – Swim
Dieses Album habe ich beim Joggen „angetestet“. Inzwischen könnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, jemals mit einem anderen Album im Ohr meine Runden zu drehen. Was die Klaxons, MGMTs, Digitalisms und LCD Soundsystems dieser Welt bisher nicht geschafft haben, ist dem Mathematikprofessor Daniel Snaith gelungen: Ein elektronisches Album aufzunehmen, das ich in einem Stück hören kann und das sogar mehrmals, immer und immer wieder gern!
4. Get Well Soon – Vexations
Ich muss zugeben, dass der komplette Hype um das Debütalbum des hochtalentierten deutschen Songwriters Konstantin Gropper irgendwie an mir vorbei gegangen ist. Der positive Nebeneffekt dieses Versäumnisses: Ich hatte keine Erwartungen an sein zweites Album und war daher nicht nur positiv überrascht, sondern sogar überwältigt. Ein großartiges, episches Indierock-Album, das auch ohne den ambitionierten theoretischen Überbau funktioniert.
5. The Rural Alberta Advantage – Hometowns
Auf der alten Indiestreber-Seite hatte ich am 12. Januar getitelt: „Mein Name ist Hometowns und ich bin dein neues Lieblingsalbum“. Über das Jahr verteilt hat es sich immer wieder in den Vordergrund gedrängt, besonders zu dem Zeitpunkt als auch endlich die deutschen Zuhörer Mitte des Jahres in den Genuss der plackernden und pluckernden Songs des Kanadiers Nils Edenloff kamen.
6. Leatherface – The Stormy Petrel
Je öfter „American Slang“ von The Gaslight Anthem in den Jahresbestenlisten auftaucht, desto beharrlicher werde ich meinen Standpunkt verteidigen, dass das aktuelle Leatherface-Album für mich in diesem Jahr das bessere Gaslight Anthem-Album war. „Stormy Petrel“ ist mitreißend, rau und so hymnisch, dass man selbst allein in der S-Bahn sitzend die Songs mit erhobener Faust lauthals mitsingen möchte.
7. Turbostaat – Das Island Manöver
Turbostaat ist eine Band, die ich immer mögen wollte, es aber nie richtig schaffte. Mit „Das Island Manöver“ haben die fünf Nordlichter nicht nur bei mir endlich den richtigen Nerv getroffen. Mit Songs wie „Fünfwürstchengriff“, „Pennen bei Gluffke“ oder „Urlaub auf Fuhferden“ vollzog die Band im vergangenen Jahr einen wahren Siegeszug durch die Clubs des Landes, was aber bei der Hitdichte des Albums und der von der Band verkörperten Authentizität auch nicht weiter verwundert.
8. Beach House – Teen Dream
Wenn es ein Paradies gibt und wenn dort Musik laufen würde, es wäre ganz bestimmt „Teen Dream“ von Beach House. Allein bei den ersten Tönen des unaufgeregt eindringlichen Openers “Zebra” sieht man förmlich die Honigbäche am inneren Auge vorbei fließen, riecht den strahlend blauen Himmel, denkt für ein paar Sekunden nur noch an das Gute auf der Welt. Ein Album für Träumer, für Eskapisten, für Optimisten und für Fans von wahnsinnig schöner Indie-Pop-Musik.
9. Pulled Apart By Horses – Pulled Apart By Horses
Pulled Apart By Horses verschreckten im Frühjahr die jugendlichen Blood Red Shoes-Fans auf deren Deutschlandtour. Wenig später machte die Visions ihr Debüt zum „Album des Monats“. Schließlich legte mir BRS-Drummer Steven beim Haldern Pop-Festival Pulled Apart By Horses als zurzeit beste britische Band wärmstens ans Herz. Die Empfehlung hat sich gelohnt, die Songs auf dem selbstbetitelten Debütalbum der Band aus Brighton pusten frischen Wind in die sonst oft so festgefahrenen Hardcore-Segel.
10. Tweak Bird – Tweak Bird
Die Platte wurde von Jan Schwarzkamp in der Visions mit 11 von 12 Punkten bewertet. Es passiert nicht oft, dass ich mit einem der fleißigsten Musikjournalisten Deutschlands geschmacklich einer Meinung bin. In diesem Fall halte ich die Punktauswahl allerdings durchaus für nachvollziehbar und gerechtfertigt. Die zweiköpfige Band kommt in diesen 27 Minuten so brachial hypnotisch daher, dass das Blut im Körper im Takt mitzuschwappen scheint. Death From Above 1979 lassen grüßen.
Songs des Jahres
1. Deer Tick – Twenty Miles
Oft brauchen Pop- oder Rocksongs nur ein paar umwerfende Melodien und ein paar „oohs“ und „aahs“ in der richtigen Dosis, an der richtigen Stelle, um sich positiv vom RockPopEinheitsbrei abzuheben. Wenn dann ein leicht lallender Sänger den Song mit Zeilen anfängt wie „Raindrops like bullets on my fragile skin / And the securities I’ve had are creeping within“ und die Entfernung „Twenty Miles“ nicht nur irgendeine Längenangabe in deinem Leben darstellt, dann ist ein Song manchmal ganz zufällig der perfekte Song für dich.
2. Crystal Castles feat. Robert Smith – Not In Love
3. Tristram – Dust Disturbed (auch mein Video des Jahres)
4. Black Rebel Motorcycle Club – Beat The Devil’s Tattoo
5. Get Well Soon – We Are Ghosts
6. Sarah Jeffe – Clementine
7. Caribou – Leave House
8. The Unwinding Hours – Knut
9. Tocotronic – Im Zweifel für den Zweifel
10. The Thermals – I Don’t Believe You
Konzerte des Jahres:
1. Black Rebel Motorcycle Club (23. November, Batschkapp, Frankfurt)
2. Dillinger Escape Plan (4. Oktober, Batschkapp, Frankfurt)
3. Mother Tongue (22. August, Batschkapp, Frankfurt)
4. Micah P Hinson (19. Oktober, Yellowstage, Frankfurt)
5. Caribou (5. Dezember, Mousonturm, Frankfurt)
Die Liste liest sich vielleicht ein bisschen heuchlerisch. Dabei ist die Batschkapp in Frankfurt nicht mal unbedingt mein Lieblingsclub. Aber die Konzerte von Black Rebel Motorcycle Club, Dillinger Escape Plan (supportet von den furchtbar sympathischen Cancer Bats) und Mother Tongue erfüllten schlicht und einfach alle Erwartungen, die man an ein Rockkonzert haben kann. Die Bands gaben mindestens anderthalb Stunden Vollgas, der berühmte Funke sprang auf ein gieriges und schwitzendes Publikum über und die Songauswahl war derart famos, dass man am liebsten den kompletten Merchandise-Stand leer gekauft hätte.
Die tollsten musikrelevanten Internetseiten / Blogs des Jahres:
1. Das Eric Pfeil-Pop Tagebuch
Wenn man seinem aktuellsten Blog-Eintrag Glauben schenken mag, verabscheut der Kölner Journalist dieses Attribut, ich komme jedoch nicht umhin, Eric Pfeil als Ausnahme-Erscheinung in der sonst immer unkreativer werdenden deutschen Musikredakteurs-Landschaft zu bezeichnen. Mit sprachlicher Finesse lässt er in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen seine durch jahrelange Erfahrungen kumulierten musikbezogenen Weisheiten und Anekdoten vom Stapel. Vieles davon ist im ebenfalls sehr empfehlenswerten Buch „Komm, wir schmeißen ein Schlagzeug in den Schnee“ nachzulesen.
Schon allein aufgrund ihres zehnjährigen Geburtstages haben die bekennenden Pilzrahmsuppen-Verehrer von plattentests.de ihren Platz in dieser Liste verdient. Woche für Woche beweisen die Autoren der Seite in umfangreichen Rezensionen musikalische Geschmackssicherheit. Alben, die bei plattentests.de mit einer 8/10 oder 9/10 bewertet werden, finden ihren Weg in sämtliche relevanten Jahresbestenlisten und können fast schon ungehört gekauft werden. Ein sonderlob gibt es für die unterhaltsamen Newsletter und die hitzigen Forumsdiskussionen.
Lukas Heinser einen medialen Hans Dampf in allen Gassen zu nennen, wäre reinste Untertreibung. Der Leiter der Medienkontrollinstanz bildblog.de hat nicht nur gemeinsam mit seinem Vorgänger Stefan Niggemeier Lenas Triumph von Oslo dokumentiert, sondern bewies auf dem Nebenschauplatz coffeeandtv.de mal wieder, dass er nicht umsonst Musikressortleiter beim Bochumer Campusradio und Endredakteur bei den erwähnten Kollegen von plattentests.de war. Die musikalische Aufarbeitung des vergangenen Jahrzehntes unter dem Decknahmen „A Decade Under The Influence“ war schwer beeindruckend und auch im neuen Jahrzehnt blieben ihm nicht viele musikalische Glanzlichter verborgen.
4. Nicorola.de
Nicorola.de ist der Musikblog des Berliner Grafikers Nico Schipper und besticht inzwischen seit über sechs Jahren durch Übersichtlichkeit, ein gesundes Gespür für gute Musik und eine Regelmäßigkeit, die nicht überfordernd wirkt. Auch deshalb ist Nicorola.de inzwischen das erste Blog, das ich morgens nach dem Aufstehen aufrufe.
Ein Blog zweier musikfanatischer Menschen, deren Geschmack ich nicht immer teile, die ich aber für die bezaubernd schöne literarische Sprache und die Fähigkeit, Dinge zu kritisieren, umso mehr bewundere. Ein Großteil der anderen Blogs zeichnet sich leider durch Vernachlässigung der sprachlichen Eleganz und mangelnde Kritikfähigkeit aus.
Und 2011?
Endlich wird es das grandiose Debütalbum der Hamburger Indierock-Formation The Age Of Sound zu hören geben, deren Schaffen ich schon seit einiger Zeit fanatisch verfolge. „Do You Know What Rock’n’Roll Is?“ fragen sie darauf. Ich drücke beide Daumen und alle Zehen, dass die deutschen Musikhörer das wissen…
Ansonsten auf dem Schirm haben sollte man: The Rumour Said Fire, James Blake, Chapel Club, Dikta, The Domino State, The Vaccines und die ein oder andere Reunion in die Jahre gekommener und fast vergessener Rockstars. Blur und die Guano Apes werden ganz bestimmt nicht die einzigen bleiben.
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… wobei das RAA-Album ja nicht zählt. Ist schließlich 2009 rausgekommen. (sonst wäre es auch bei mir ganz weit oben gewesen)
habe ich gern gelesen, daumen hoch!