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Eine musikalische Reise durch die Zeit. Teil 60: RAF!

von | 6.Mai 2010

Jan Delay – Söhne Stammheims

Nachdem mein Monitor lange Zeit mehr oder weniger eine weiße Fläche war, die nur ab und an durch das aufdringlich gelbe Blinken des Instant Messenger an Farbe und Aktivität gewann, wurde mir eindeutig klar, dass die heutige Geschichtsstunde keine einfache ist. Über Nazis lachen ist mittlerweile üblich, spätestens seit Guido Knopp sogar nötig, Ereignisse wie der Erste Weltkrieg waren sicher tragisch, liegen aber in einer Welt so fern der heutigen, dass sie für uns kaum noch vorstellbar sind, aber Terrorismus ist das tägliche Brot des 21. Jahrhunderts und somit in jedem Kopf mit konkreten allabendlichen Nachrichtenbildern behaftet. Wie erklärt man nun den deutschen Terrorismus des 20. Jahrhunderts ohne diesen auf irgendeine Art und Weise zu rechtfertigen, aber gleichzeitig auch ohne ihn mit dem Tagesgeschäft Terror gleichzusetzen?

Vielleicht sollte ich einfach am Anfang anfangen, aber wo ist dieser Beginn? Soll man, wie bei vielem was sich in der Bundesrepublik zugetragen hat, irgendwann zwischen 1933 und 1945 anfangen oder beginnt man, wenn man die RAF als Reaktion auf das Todschweigen der Nazivergangenheit durch die Elterngeneration sieht, bereits so den Terror zu rechtfertigen? Hier zeigt sich, wie prekär eigentlich dieses Thema Rote Armee Fraktion ist und wie leicht man sich daran seine Finger verbrennen kann. Ein definitiver Anknüpfungspunkt für die Erklärung des Phänomens RAF ist die 68er Studentenbewegung, die bereits vor einigen Tagen Thema hier war. Nachdem Tod Benno Ohnesorgs 1967 und dem Anschlag auf Rudi Dutschke 1968 kam es zu einer Radikalisierung innerhalb jener heterogenen Gruppe der demonstrierenden Studierendenschaft. Aus dieser wachsenden Gewaltbereitschaft der Demonstranten entstand eine militaristische kapitalismuskritische Terrorbewegung. Offiziell gegründet wurde die RAF 1970 im Rahmen der Befreiung Andreas Baaders aus Polizeigewahrsam.

Was in den folgenden Jahren passierte ist bekannt, spätestens seit der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust es in seinem Buch „der Baader-Meinhof-Komplex“ und der Produzent Bernd Eichinger es im gleichnamigen Film darstellte sogar fast schon mythologisiert. So starben in den 28 Jahren RAF insgesamt 54 Menschen an Terror und ihren Folgen, davon 20 RAF-Mitglieder. Stammheim wurde zeitweise zum Inbegriff staatlicher Rechtswillkür und der Mord an Generalstaatsanwalt Siegfried Buback beschäftigt noch heute (so genannte) Nachrichtenmagazine und die deutsche Justiz.

Nun kommt Jan Delay des Weges und nimmt Stammheim als Bild der aktuellen Kapitalismus-Kritik. In seinem Song „die Söhne Stammheims“ äußert sich Delay, der im deutschen Herbst 1977 ein Jahr alt war und wahrscheinlich noch in die Windeln machte, nämlich wie folgt:

Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin
folgen Jürgen und Zlatko doch nicht mehr Baader und Ensslin.
Die die Unheil und Armut und Krankheit verbreiten,
für sie herrschen sorglose Zeiten, da kein bisschen
Sprengstoff sie daran hindert, ihre Geschäfte zu betreiben.

Der Gedanke, der hinter seiner Kritik steckt, in allen Ehren. Aber ist diese Anprangerung nicht eine unnötige und unpassende Glorifizierung des Terrors und beinhaltet er nicht das fadenscheinige Argument, dass der Zweck alle Mittel heiligen würde? Eins jedenfalls zeigt sich wieder, das Thema RAF ist und bleibt mit Vorsicht zu genießen.


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