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Das Jahrzehnt aus Sicht der indiestreber: Musik im 21. Jahrhundert. Ein Essay.

von | 14.Januar 2010

Zugegeben, die Überschrift klingt mehr nach Adorno als nach Musikblog. Aber keine Angst, ich will hier nicht in prätentiöses Geschwurbel verfallen, sondern bloß einige Gedanken über Rockmusik der Gegenwart und Zukunft loswerden. Eines aber noch vorweg: Natürlich ist die Einteilung des Zeitstroms in Jahrzehnte mehr oder minder willkürlich, aber irgendwie muss man ja Sinn in das Chaos bringen. Und dazu muss der Mensch auch – allen oftmals berechtigten Klagen über das Schubladendenken zum Trotz – Kategorien aufstellen. So, jetzt aber rein ins Getümmel!

Die so hässlich betitelten „Nullerjahre“ waren das erste Jahrzehnt seit sehr langer Zeit, in der keine neue Musikrichtung das Licht der Welt erblickte und ihren Durchbruch erlebte. Die 50er hatten Rock’n’Roll, die 60er Pop, die 70er Punk, die 80er HipHop, die 90er Techno – und was haben wir? Die Subgenres zwischen Math Rock, Post-Rock, Nintendocore und Elektro-Trash mögen derzeit blühen wie selten zuvor, aber wirklich neu ist das alles nicht. Denn heute gilt in der Musik: Alles ist Zitat. Jeder Gitarrenakkord wurde bereits gespielt und alles wurde bereits gesagt, nur noch nicht von jedem. Das wird besonders deutlich, wenn man die Musik betrachtet, die dieses Jahrzehnt geprägt hat. Ob The Strokes oder The Libertines, The White Stripes oder Franz Ferdinand, Interpol oder Mando Diao – sie alle haben freudig in den vergangenen Jahrzehnten der Pop- und Rockmusik geplündert.

Doch ich will hier keinesfalls den Eindruck erwecken, mit der Gegenwart zu hadern. Im Gegenteil! Dieses Jahrzehnt hat fantastische Musik in rauen Mengen hervorgebracht. Viele großartige Bands betraten die Bildfläche. Einige davon verschwanden bereits wieder, einige blieben und von einigen darf man sich auch im nächsten Jahrzehnt noch viel erhoffen. Rockmusik ist quicklebendig und wird es auch bleiben. Denn irgendwie gab es ja doch eine Art Fortschritt: Alles kann heute mit allem kombiniert werden. Genres und Sounds werden auseinander genommen und anders wieder zusammengesetzt. Grenzen erscheinen anachronistisch.

Vielleicht hilft zum besseren Verständnis davon eine Analogie zur Modebranche: Farben und Formen sind allesamt vorgegeben, aber die Kombination ist das Entscheidende. Insofern passen auch Mash-Ups wunderbar in die Zeit. So wird aus alt zwar vielleicht nicht neu, aber es bleibt spannend. Man kann das Rad nur einmal erfinden, aber wie man es dreht, bleibt jedem selbst überlassen.

Symptomatisch für das eben geschriebene steht etwa eine Band wie Portugal. The Man. Sie haben es geschafft, zwischen 2006 und 2009 vier Alben herauszubringen, die allesamt unterschiedlich klingen und dabei trotzdem ihren ganz eigenen Sound zu finden. In ihrer Musik finden sich die unterschiedlichsten Versatzstücke, egal ob 70er Jahre Led Zeppelin-Gedenkriffs, zackige Indie-Gitarren, Falsett-Gesang, Singer/Songwriter-Melodien, ausufernde Jams, Elektro-Elemente, Hippie-Folk, Progressive-artiges Songwriting oder oldschool Soul. Aber irgendwie schaffen sie es, das alles so zu verbinden, dass es passt. Die Zeit der Pioniere ist vorbei, aber ihr Erbe ist so vielfältig, dass wir nicht befürchten müssen, uns bald damit zu langweilen.

Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass sich Pop- und Rockmusik jeweils an die gerade junge Generation richtet. So kann ein Editors-Song, über den ein Mittvierziger vielleicht schulterzuckend und naserümpfend sagt: „Pff, klingt ja genauso wie Joy Division!“, für einen Anfangzwanziger eine davon ganz unabhängige Bedeutung entfalten. Und genau deshalb tritt Pop immer einmal öfter den Lebensbeweis an, als er für tot erklärt wird.

Kommen wir nun aber auch zu den einschneidende Neuerungen im bisherigen 21. Jahrhundert, die es ohne Frage gab: Das Wissen und die (Pop-)Kultur der Welt sind per Mausklick abrufbar geworden, Wikipedia und Youtube sei Dank. Alles ist zu allen Zeiten verfügbar. Will man wissen, wie eine Band von der anderen Seite der Welt klingt, surft man einfach auf ihre Myspace-Seite und hört rein. Es herrscht die unbegrenzte Gleichzeitigkeit. Dadurch werden auch Widersprüche immer selbstverständlicher. Jede Vorliebe – und auch jeder Fetisch – wird vom Internet bedient. Egal wie abgedreht Musik heutzutage auch gerät, alles scheint irgendwo einen Abnehmer zu finden, der gerade darauf gewartet zu haben scheint.

Und so kann man auch die „Mainstreamisierung“ des Indie erklären: Es gibt heute schlichtweg nicht mehr einen Mainstream, sondern nur noch viele Strömungen, und jeder kann sich davon das herauspicken, was ihn anspricht. Kurz gesagt: Die Charts sind tot, es lebe die Nische!

Doch mit dem technischen Fortschritt ging auch eine weitere Erfindung einher, die einen bedeutenden Umbruch in der Musikbranche zur Folge hatte: Dank des Fraunhofer Instituts lässt sich Musik in handliche Pakete aus Bits und Bytes umwandeln. Und mit Napster, Kazaa, Emule, The Pirate Bay und Rapidshare kann man sich diese ohne viel Mühe kostenlos besorgen. Das ist zwar illegal, lässt sich zumindest momentan aber kaum unterbinden.

Die Plattenfirmen sind darüber verständlicherweise erzürnt und führen die weltweiten Einbrüche der CD-Verkäufe meist komplett auf illegale Downloads zurück. Und auch wenn die Annahme, dass jedes heruntergeladene Album auch regulär gekauft worden wäre, einer Milchmädchenrechnung gleichkommt: Ein Zusammenhang lässt sich sicherlich nicht leugnen.

Und wie reagieren die Bands? Ziemlich unterschiedlich. Manche sehen die kostenlose Verfügbarkeit ihrer Musik als Segen (etwa Portugal. The Man), andere verfluchen diejenigen, die ihre Platte bereits Wochen vor der physischen Veröffentlichung ins Netz stellen (etwa Future Of The Left). Wiederum andere versuchen, die neue Situation für sich zu nutzen und neue Wege im Vertrieb ihrer Musik zu gehen, um unabhängiger von Plattenfirmen zu werden. Exemplarisch hierfür genannt seien Radiohead, Nine Inch Nails und Bloc Party.

Aber immernoch gibt es nicht das Vertriebsmodell der Zukunft. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich die Musikrezipientenschaft nicht einig darüber ist, was sie eigentlich will. Dem Aufstieg von mp3 und iPod steht eine Renaissance der Vinyl-Schallplatte gegenüber. Es könnte sogar sein, dass die lange Zeit selbstverständliche CD irgendwann zwischen diesen beiden Formaten aufgerieben wird und als Standard-Trägermedium von Musik abdankt.

Daran lässt sich auch eine weitere Entwicklung erkennen: Der Graben zwischen den Musikliebhabern, die ohne sie nicht leben könnten, und denen, für die sie nur ein stimmungsregulierendes Konsumgut unter vielen ist, weitet sich aus. Doch solange es genügend Menschen gibt, denen Musik etwas bedeutet, muss man sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Der Tag, an dem die Musik sterben wird, ist jedenfalls auch weiterhin nicht in Sichtweite.

Und man darf gespannt sein, wie es weitergeht…


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